Beruflicher Evolutionszyklus - das CIRA Model
Phase 1 – Kreativität
Aus Sicht des Neulings
Zu Beginn bist du voller Energie und Euphorie. Alles ist neu und spannend. Vielleicht hattest du in deinem alten Job noch Resturlaub und kannst nun mit frischem Elan starten. Neue Werkzeuge und unbekannte Herausforderungen warten auf dich. Es ist deine Chance, dich neu zu erfinden, Ordnung zu schaffen und deine bisherigen Erfahrungen gezielt einzubringen, um von Anfang an optimale Prozesse zu etablieren. Der Wechsel fordert auch deinen Geist: Du verlässt gewohnte Pfade und betrittst Neuland.
Aus Sicht der Firma
Für das Unternehmen bedeutet diese Phase frischen Wind. Es ist die ideale Gelegenheit, Prozesse und Methoden einem unvoreingenommenen Blick zu unterziehen. Schwächen in der Dokumentation, ineffiziente Abläufe oder verbesserungswürdige Lösungen treten jetzt zutage. Das heißt nicht, dass bisher alles schlecht war – es zeigt vielmehr, dass es alternative Ansätze geben könnte. Diese Dynamik sollte durch aktives Zuhören und Offenheit gefördert werden. Der Onboarding-Prozess ist keine Einbahnstraße.
Die erste Phase dauert nur wenige Monate und ist die kürzeste, aber wichtigste Phase für beide Seiten. Sie ist geprägt von Kreativität. Der Übergang in die nächste Phase wird maßgeblich durch zwei Faktoren bestimmt: die fachliche und persönliche Kompatibilität. Beide können sich bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Fehlt ein Faktor jedoch gänzlich, endet das Arbeitsverhältnis. In dieser Phase sollte Produktivität kein entscheidender Maßstab sein.
Phase 2 – Integration
Aus Sicht des Neulings
Du hast dich eingelebt. Der Arbeitsalltag wird routinierter, und die anfänglichen Fragen nach Abläufen und Verantwortlichkeiten nehmen ab. Du bist nicht mehr „der oder die Neue“. Du weißt, welche Termine wichtig sind, und hast deinen Platz im Team gefunden. Deine Fähigkeiten haben sich herumgesprochen, und Kollegen wenden sich gezielt an dich, wenn sie Unterstützung brauchen. Die Arbeit geht dir leichter von der Hand.
Aus Sicht der Firma
Auch die Firma hat sich an dich gewöhnt. Du bist nun selbstständig und trägst effektiv zur Wertschöpfung bei. Kurz gesagt: Du bist vollständig integriert.
Die zweite Phase kann bis zu drei Jahre dauern und ist die Phase mit der höchsten Produktivität. Je größer das Missverhältnis zwischen fachlicher und persönlicher Kompatibilität, desto kürzer fällt sie aus.
Phase 3 – Reflexion
Aus Sicht des Neulings
In der dritten Phase stehst du an einem Scheideweg: Kannst du einen Zustand der Zufriedenheit erreichen, oder wirst du neue Perspektiven entwickeln? Ein Perspektivwechsel kann eine Rückkehr zu früheren Phasen bedeuten – je nachdem, wie tiefgreifend er ist. Deine Fähigkeiten sind inzwischen anerkannt, und du bist gut vernetzt.
Doch auch Kontinuität kann eine Perspektive sein – im besten Sinne. Allerdings erfordert selbst diese Stabilität Energie. Dein Charakter und deine Einstellung bestimmen, wie lange dieser Zustand andauert oder ob er abrupt endet.
Mit der Zeit schleicht sich jedoch Ernüchterung ein. Obwohl dir der Job weiterhin Spaß macht, treten erste Risse auf: Kleine Ärgernisse summieren sich, und unerfüllte Erwartungen säen den Keim der Unzufriedenheit.
Aus Sicht der Firma
In dieser Phase sind regelmäßige Kommunikation und Flexibilität entscheidend. Gleichzeitig sollte niemand gezwungen werden, über seine Grenzen hinauszugehen. Wenn die Ressourcen fehlen, um Erwartungen zu erfüllen, oder die Inkompatibilität zu groß wird, könnte eine Trennung unvermeidlich sein – im besten Fall im gegenseitigen Einvernehmen. Beide Seiten sollten Handlungsbedarf erkennen: Sei es, um bestehende Risse zu reparieren oder den Übergang in die nächste Phase zu ermöglichen.
Die dritte Phase sollte nicht zu lange dauern, da sie eine Phase des Wandels ist. Die Balance zwischen fachlicher und persönlicher Kompatibilität kann sich hier in jede Richtung verändern.
Phase 4 – Abschied
Aus Sicht des Scheidenden
Jetzt kannst du dein gesammeltes Wissen und deine Erfahrung noch einmal einbringen. Je näher der Abschied rückt, desto mehr Kollegen suchen deinen Rat. Wenn ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin bereitsteht, wirst du zur Mentorin oder zum Mentor – ein Ehrenstatus, der dir Anerkennung schenkt.
Aus Sicht der Firma
Der Umgang mit scheidenden Mitarbeitern ist ein Gradmesser für den Charakter des Unternehmens. Wie respektvoll und selbstkritisch agierst du in dieser sensiblen Phase? Dies gilt natürlich für beide Seiten, doch für das Unternehmen ist der Eindruck, den es hinterlässt, besonders wichtig – gerade mit Blick auf die Öffentlichkeit.
Die Entscheidung, sich zu trennen, sollte nicht stillschweigend getroffen werden. Für den Scheidenden kann sie einen letzten Motivationsschub bedeuten – oder die Chance auf ehrliches Feedback. Diese Phase bietet beiden Seiten die Möglichkeit, aus der Vergangenheit zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Der Übergang in die vierte Phase sollte nicht als Scheitern betrachtet werden. Vielmehr ist es ein Abschied, der von gegenseitiger Wertschätzung geprägt sein sollte. Idealerweise überschneidet sich diese Phase mit dem Beginn einer neuen Kollegin oder eines neuen Kollegen, wodurch ein kreativer Impuls entsteht.
Abschluss
Jede Phase bietet Chancen, voneinander zu profitieren – sei es durch Kreativität oder Produktivität. Die entscheidende Phase für die Gesamtbilanz ist die dritte. Wird der Übergang in die vierte Phase zu lange hinausgezögert, kann dies das gesamte Team negativ beeinflussen.
Kreativität und Produktivität sind individuelle Eigenschaften, die nicht erzwungen, sondern nur gefördert werden können. Sie sind ebenso entscheidend wie die fachliche und persönliche Kompatibilität – Faktoren, die immer nur in einem begrenzten Rahmen beeinflussbar sind.